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Ärzte erklären

Allergien auf Insektengifte von Hautflüglern: Biene – Wespe – Hummel - Hornisse

Neben dem Klimawandel hören wir in den Medien immer wieder vom Insektensterben. Eine dramatische Entwicklung, an der es nichts Positives gibt. Auch nicht für Insektengift-Allergiker. Denn die Gefahr von Stichen bleibt bestehen. Mit dem wärmer werdenden Wetter im Frühjahr steigt die Anzahl an Fluginsekten und damit die Wahrscheinlichkeit für einen Stich. Die Zahl der Personen, bei denen im Blut Antikörper gegen Bienen- oder Wespengift zu finden sind, liegt bei ca. 15 – 20 %, da sehr viele Menschen schon einmal von einem Hautflügler-Insekt gestochen worden sind. Aber nur für ca. 0,5 – 3 % der deutschen Bevölkerung bedeutet dies mehr als einen unangenehmen Schmerz: Sie reagieren allergisch auf das Gift der kleinen Tiere, was im schlimmsten Fall lebensbedrohliche Folgen haben kann.

 

Insektenstich als Selbstverteidigung

Staatenbildende aber auch einzeln lebende Insekten haben zur Abwehr von Feinden im Laufe ihrer Evolution (Entwicklung) Verteidigungsstrategien entwickelt. Zu ihnen gehören einige Hautflügler wie Bienen, Wespen aber auch Ameisen. Mit ihrem Giftstachel stechen Bienen und Wespen eine Giftmischung in die Haut vermeintlicher oder tatsächlicher Angreifer.

Für Menschen, welche an einer Bienen- oder Wespengift-Allergie leiden, besteht eine besondere Gefährdung. In extremen Fällen kann selbst ein einziger Stich tödliche Folgen haben.

Ein Bienen- oder Wespenstich ruft allein durch die Giftwirkung schon bei einem Nicht-Allergiker gewöhnlich eine lokale Entzündung mit mehr oder weniger schmerzhafter Rötung und Schwellung hervor, welche begrenzt sowie nicht mehr als ca. 10 cm2 groß ist und meist nach einem Tag abklingt. Allerdings kann es darüber hinaus an dieser Stelle zu einer gesteigerten Reaktion kommen.  Es tritt dann zusätzlich zur Rötung eine Schwellung auf, die länger als 24 Stunden anhält und meist sehr schmerzhaft ist. Hinzu kommen ein allgemeines Krankheitsgefühl und/oder Frösteln, auch die Gelenke können betroffen sein.

Durch lokales Kühlen kann der Schmerz nach einem Stich gelindert werden. Eine Gefahr für die Gesundheit besteht bei Nichtallergikern erst nach vielen Stichen. Bei sehr vielen, gleichzeitig erfolgten Stichen kann es indes auch beim Nichtallergiker zu schweren systemischen Symptomen (Blutdruckabfall, Kreislaufsymptome etc.) kommen.

 

Stich in Hals und Rachen potenziell lebensbedrohlich

Allerdings kann schon ein einziger Stich im Hals- oder Rachenraum lebensbedrohlich werden, denn es droht Erstickungsgefahr durch Zuschwellen der Atemwege. Solche Stiche werden oft von Wespen verursacht, wenn diese von Duftstoffen angelockt werden und versehentlich mit der Nahrung oder einem Getränk in den Mund gelangen. In einem solchen Fall muss umgehend ein Arzt aufgesucht werden!

 

Bei schweren Reaktionen steckt oft eine Allergie dahinter

Schwere Reaktionen auf Bienen- und Wespenstiche sind jedoch meist allergisch bedingt und haben ihre Ursache im Vorhandensein von spezifischen IgE-Antikörpern gegen das  Insektengift. Unter einer Insektengiftallergie versteht man in unseren Breiten die Neigung zu allergischen Reaktionen nach Stichen, insbesondere durch folgende Insektenarten:

 

  • Honigbienen (Apis mellifera)
  • Wespen (Vespula vulgaris, Vespula germanica)
  • Hornissen (Vespa crabro)
  • Hummeln (Bombus spp.)

 

Stiche von Hornissen und Hummeln sind insgesamt seltener. Bienengift-Allergien verlaufen meist dramatischer und treten zahlreicher bei  jungen Menschen auf, Wespengift-Allergien zeigen sich  häufiger bei älteren Menschen. 

Wespen überleben Stich – Bienen versterben: Wegen des Widerhakens am Stachel verliert die Biene beim Stich meist ihren gesamten Giftapparat, bestehend aus der Giftblase und anhängender Muskulatur, mittels welcher 50 bis zu 100 Mikrogramm Gift in die Haut gespritzt wird. Wespen und Hornissen können ihren Stachel - da ohne Widerhaken - nach dem Einstich zurückziehen und bleiben - im Gegensatz zur Biene – unverletzt. Wespen verabreichen bei einem Stich 3-10 Mikrogramm und Hornissen bis zu 100 Mikrogramm Gift.

 

Diagnostische Möglichkeiten mittels Blutuntersuchung

Bienen- und Wespengifte sind ein komplexes Gemisch verschiedener Eiweiße und kleiner Moleküle. Es gibt gemeinsame aber auch artspezifische Bestandteile. Da nicht alle Patienten nach dem Stich wissen, ob sie von einer Biene oder einer Wespe gestochen worden sind, kann man heute mittels spezieller Blutuntersuchungen (molekulare Allergiediagnostik) überprüfen, ob der Patient eine Allergie gegen Bienen- und/oder Wespengift hat.

Ursache für Insektengift-Allergie unklar:  Warum das Immunsystem mancher Menschen nach einem Insektenstich diese spezifischen Antikörper (sogenannte IgE-Antikörper) bildet, ist noch unklar. Bekannt ist aber, dass er sich dadurch gegen das jeweilige Gift sensibilisiert. Bereits beim nächsten Stich kann es infolge des Kontakts zwischen Insektengift und Antikörper zur allergischen Reaktion kommen. Die Insektengiftallergie ist eine Reaktion vom Sofort-Typ, d.h. die allergische Reaktion tritt meist innerhalb von wenigen Minuten nach dem Stich auf.

 

Beschwerden bleiben nicht auf Einstichstelle beschränkt

Insektengift-Allergien zeigen sich oft durch Auftreten systemischer Reaktionen (Allgemein-reaktionen). Diese sind durch Symptome gekennzeichnet, die keinen örtlichen Zusammenhang mit der Stichstelle haben und potenziell lebensbedrohlich verlaufen können. Sie sind bei Erwachsenen die Hauptauslöser sogenannter anaphylaktischer Reaktionen. Anaphylaktische Reaktionen werden in vier Schweregrade eingeteilt:

  • Schweregrad I: Juckreiz, Rötung der Haut, Nesselsucht, Schwellung insbesondere des Gesichtes und der Augenlider
  • Schweregrad II: erste Herz-Kreislauf Beschwerden wie Herzrasen (Tachykardie), niedriger Blutdruck, Magen-Darm-Beschwerden sowie Übelkeit
  • Schweregrad III: Schock, schwere Atemnot, Bewusstseinstrübung. Es kann zu ungewollter Stuhlentleerung (Defäkation) und Urinabgang (Miktion) kommen
  • Schweregrad IV: zusätzlich Atemstillstand und Kreislaufstillstand.

Betroffene einer solchen allergischen Reaktion müssen indes nicht zwangsläufig alle Stadien von Grad I - IV durchlaufen.

 

Anaphylaktischer Schock: Insekten häufigster Auslöser

In Deutschland reagieren bis zu 3,5 % der Bevölkerung allergisch auf Insektenstiche, bei bis zu 25 % treten gesteigerte örtliche Reaktionen (Schwellung größer als 10 cm2 im Durchmesser für länger als 24 Stunden) auf. Vor allem Wespenstiche sind im deutschsprachigen Raum bei Erwachsenen die häufigsten gemeldeten Auslöser schwerer Reaktionen. Jährlich werden vom Statistischen Bundesamt etwa 20 Todesfälle durch Bienen-, Wespen- oder Hornissenstiche erfasst.

 

Allergenvermeidung

Folgende Vorsichtsmaßnahmen helfen Ihnen dabei, Insektenstiche zu vermeiden:

  • Unterlassen Sie den Verzehr von Speisen oder Getränken im Freien.
  • Waschen sie Hände und Mund nach dem Essen.
  • Tragen Sie bedeckende helle, nicht dicht anliegende, eng gewebte Kleidung.
  • Laufen Sie nicht barfuß.
  • Tragen Sie mit Netz versehene Fahrradhelme.
  • Vorsicht an schwül-heißen Tagen, da Insekten dann häufig besonders aggressiv sind.
  • Wohnungsfenster sollten tagsüber geschlossen bleiben bzw. durch Insektennetze gesichert sein.
  • Lassen Sie das Licht abends bei geöffneten Fenstern bzw. die Balkon- oder Terrassenbe-leuchtung soweit möglich aus. Ansonsten werden nachtaktive Insekten (wie Hornissen) davon angelockt.
  • Ein erhöhtes Stichrisiko besteht beim Ernten von Obst, Gemüse, Blumen usw., in der Nähe von Abfall und bei der Verwendung von Duftstoffen (z.B. Parfüm).
  • Wenn sich Ihnen ein Insekt nähert, sollten Sie hastige oder gar schlagende Bewegungen vermeiden; stattdessen empfehlen sich langsame Bewegungen und ein ruhiger Rückzug.
  • Chemische Insektenabwehrmittel bieten hingegen keinen Schutz, insbesondere nicht vor Reaktionen auf Insektenstiche!

 

Selbsthilfemaßnahmen

Zur Selbstbehandlung nach Insektenstichen erhält der diagnostizierte Insektengiftallergiker ein sogenanntes "Notfallset" verschrieben, welches folgende Medikamente beinhalten sollte:

  1. Ein schnellwirkendes trinkbares Antihistaminikum (antiallergisches Medikament) sowie ein trinkbares kortisonhaltiges Medikament, bei jüngeren Kindern auch als Zäpfchen,
  2. Adrenalin, welches selbst in den Muskel des Oberschenkels mittels Autoinjektor gespritzt wird. (Autoinjektor: Gerät, bei denen Sie nur einen Knopf bedienen müssen, um sich den Wirkstoff zu spritzen),
  3. zusätzlich bei Patienten mit Asthma bronchiale oder deutlicher Verengung der Bronchien ein rasch wirkendes bronchialerweiterndes Medikament zur Inhalation.

 

Beachten Sie die genannte Reihenfolge

Halten Sie die genannte Reihenfolge genau ein. Das Antihistaminikum sowie das kortisonhaltige Medikament nehmen Sie unmittelbar nach dem Stich ein. Kommen weitere Symptome, wie z. B. Atemnot, Schwindel oder Übelkeit hinzu, verabreichen Sie sich Adrenalin mittels Autoinjektor. Allgemein gilt, dass Sie nach einem Stich unverzüglich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen sollten.

 

Hyposensibilisierung

Die sicherste Behandlung einer Insektengiftallergie erfolgt durch eine spezifische Immuntherapie (SIT), auch Hyposensibilisierung genannt, bei der das jeweilige Insektengift in zunächst steigenden Mengen unter die Haut gespritzt wird. Sie dauert in der Regel drei bis fünf Jahre und zeigt sehr hohe Erfolgsraten. Die Wirksamkeit der SIT mit Bienengiftextrakten wird mit 80 – 85 % und die mit Wespengiftpräparaten mit 90 - 95 % angegeben. Das heißt, beim nächsten Stich bleibt eine lebensbe-drohliche Reaktion meist aus. Trotzdem kann sich an der Stichstelle eine schmerzhafte lokale Reaktion entwickeln. Beim Vorliegen einer Insektengiftallergie sollten Allergiker eine stationäre „Schnell-Hyposensibilisierung“ in Erwägung ziehen. Dabei ist das Therapieziel (Ausbleiben einer anaphylaktischen Reaktion nach einem Stich) oft innerhalb weniger Tage oder Wochen erreicht. Die Weiterbehandlung erfolgt dann in der Regel in monatlichen Abständen in einer allergologischen Praxis.

Eine solche Therapie wird zumeist aufgrund des deutlich erhöhten Risikos von möglichen Nebenwirkungen während der Steigerungsphase durch erfahrene Allergologen in einer Klinik durchgeführt werden. Sollte es während der Einleitungsbehandlung mit ansteigenden Giftmengen zu einer Nebenwirkung kommen, kann Ihnen sofort durch die Fachkräfte in der Klinik geholfen werden.

 

Fachgesellschaft empfiehlt Hyposensibilisierung bei bestimmten Patienten

Nach den Empfehlungen der EAACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) besteht bei Erwachsenen die Indikation zur Hyposensibilisierung bei

  • Patienten, die infolge eines Insektenstiches eine Grad II-IV-Reaktion erlitten haben und bei
  • Patienten mit individuellen Risikofaktoren oder einer Einschränkung der Lebensqualität durch die Insektengiftallergie ab einer Grad I-Reaktion.

Als „natürliches Modell“ einer Hyposensibilisierung können die Imker gelten: Auch sie erwerben durch regelmäßige und in kurzen Abständen erhaltene Bienenstiche häufig eine spezifische Toleranz gegenüber dem Bienengift. Dennoch ist selbst bei ihnen eine spontane, allergische Reaktion nicht auszuschließen. 

 

Dr. med. Roger Trutti (Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde)
Kiskerstrasse 21, 33615 Bielefeld

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